Seit die vierte Welle nun in nie dagewesener Stärke durch die Ungeimpften rasiert, wird wieder über stärkere Einschränkungen für Ungeimpfte diskutiert. Damit steigt natürlich auch wieder die Nachfrage an “gefälschten” Impfpässen.
In diesem Beitrag möchte ich kurz darlegen,
- Wie Impfpässe gefälscht werden
- Warum das kein technisches Problem ist
- Wieso “das Problem” nicht lösbar ist
- Was unser eigentliches Problem ist
- Wie wir es vielleicht lösen könnten.
1. Wie Impfpässe “gefälscht” werden
Die technische Sicherheit der (digitalen) Impfpässe ist ungebrochen. Keine nicht berechtigte Stelle kann Impfausweise ausstellen, die einer ordnungsgemäßen Kontrolle standhalten würden. Allerdings gibt es zu viele zum Ausstellen berechtigte Stellen und so gut wie keine ordnungsgemäße Kontrolle. Beides ist gewissermaßen unvermeidbar und wahrscheinlich auch gut so:
Ausstellung
Wir müssen viele Millionen Menschen in kurzer Zeit impfen. Dazu müssen “all hands on deck” und so ist es völlig normal und auch notwendig, dass jede Angestellte in einer Arztpraxis “mal eben” ein Impfzertifikat ausstellen kann. Es ist aber auch klar, dass bei so vielen Menschen ein Anteil bereit sein wird, sein Gehalt nebenher durch Ausstellen einiger Zertifikate nennenswert aufzubessern.
Wie jedem derart unvermeidbaren Problem, ließe sich diesem nur durch Strafverfolgung und hohe Strafen beikommen – das passiert auch gerade zumindest bei jenen, die diese “Dienstleistung” öffentlich anbieten: Testkauf der Polizei, Rückverfolgung, Zack.
Kontrolle
Die wenigen Male, dass mein Impfpass tatsächlich ordnungsgemäß kontrolliert wurde, kann ich an einer Hand abzählen: Scan mit CovPassCheck, Abgleich mit Personalausweis. Passiert höchstens mal bei der Einreise in ein anderes Land, oder im Hotel. Dass eine derart genaue Kontrolle in der Breite nicht stattfinden wird, haben wir immer wieder vorhergesagt.
In 99% der Fälle reicht es daher, einfach den gültigen Impfpass einer anderen Person vorzuzeigen, weil – wenn überhaupt – der Impfpass per Augenschein kontrolliert wird. “Scroll mal nach unten zum Gültigkeitsdatum…” ist das höchste der Gefühle.
Gleichzeitig ist das schlimmste, was die kontrollierte Person zu befürchten hätte, dass sie an der Tür des Clubs, der Bar oder des Restaurants abgewiesen wird. Diese Wahrscheinlichkeit ist aber im niedrigen einstelligen Prozentbereich und außerdem ist ja schnell ersichtlich und allgemein bekannt, wo ernsthaft kontrolliert wird, und wo nicht. Und selbst jene, die gut kontrollieren, werden zweimal nachdenken, ob sie im Zweifelsfall die Polizei rufen und Anzeige erstatten.
2. Es ist kein technisches Problem
Die “Schwachstellen” liegen also bei der Ausstellung und Kontrolle, nicht in der Sicherheit des Systems selbst. Selbstverständlich gab es immer wieder auch prozedurale Schwächen wie nicht angemessen geschützte Signaturstellen oder die Möglichkeit, sich einfach mal als Apotheke zu registrieren. Diese Schwachstellen sind aber nicht das Hauptproblem: Die Mehrzahl der illegitimen Impfausweise werden auf dem regulären Weg von legitimierten Stellen ausgestellt: ein Korruptions- und kein Sicherheitsproblem.
3. Dieses “Problem” ist nicht lösbar – aber es ist auch nicht das Problem
Angenommen, ich hätte mir von irgendeiner Praxisassistenz einen Impfpass ausstellen lassen und dabei in einem Anfall absoluter geistiger Umnachtung auf den immensen Vorteil einer Impfung verzichtet: Wie sollte mir jemals nachgewiesen werden, dass ich nicht tatsächlich geimpft wurde? Etwa mit einem gerichtlich angeordneten Titer-Test? „Oh, da hat mein Immunsystem wohl nicht reagiert! Gut, dass wir das festgestellt haben!“
Tatsächlich geschnappt werden nur die Idioten, die diese Dienstleistung in großem Stil unbekannten anbieten und durch Test-Käufe überführt werden. Das finde ich im Übrigen auch gut, weil nur Idioten so etwas anbieten und nur Idioten auf so ein Angebot eingehen.
Die überwiegende Mehrzahl der illegitim ausgestellten Impfpässe wird aber nie entdeckt werden – und selbst wenn, wird kaum eine Strafe für die Trägerinnen dabei herauskommen. Im Zweifelsfall gehen sie einfach nochmal mit einem Aufkleberchen im gelben Impfbuch in eine Apotheke, die 1. Geld verdient, wenn sie den Impfpass ausstellt, und 2. unnötigen Ärger hat, wenn sie es nicht macht. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass meine Fälschung auffällt, gehe ich einfach in die nächste Apotheke und probiere es erneut.
Die Apotheken, die Fälschungen abweisen, verlieren derweil die Nerven. Weil es zu viele sind. Es wird Zeit, diesen Service einzustellen.
4. Unser eigentliches Problem ist, dass Impfpassfälschung teilweise einfacher ist, als Impfung
Für illegitim ausgestellte digitale Impfpässe werden Preise zwischen 100€ und 300€ berichtet. Das ist es den Menschen offenbar wert, die Impfung zu vermeiden. Gemessen am Aufwand, den die Ausstellerin hat, ist das ein sehr stolzer Preis.
Ich persönlich wäre locker bereit, das doppelte für eine tatsächliche Impfung zu zahlen, aber ich habe offenbar ein anderes Bezugssystem. Sehr schön ist das Problem in diesem Tweet zusammengefasst:
Solange es leichter ist, an ein gefälschtes Impfzertifikat ranzukommen als nach 5 Monaten an eine Booster-Impfung, brauchen wir uns eigentlich über nichts zu wundern.— Stefan Heinrichs (@stefnhs) November 15, 2021
Wenn nun weitere Einschränkungen für Ungeimpfte in Aussicht gestellt werden, dann erhöht das primär die Motivation, einen Impfpass zu bekommen – nicht notwendigerweise die Motivation, sich auch impfen zu lassen.
Dieser einfache Tatsache hat weitreichende Konsequenzen:
5. Wir brauchen endlich positive Impf-Anreize
Das eigentliche Ziel heißt: Impfung. Schon vor Einführung des Impfpass-Systems haben wir als CCC darauf hingewiesen: Impfausweise beenden keine Pandemien. Der Impfpass ist nur ein Instrument, um positive Anreize für die Impfung und negative Anreize gegen Impfunwilligkeit zu setzen.
Positive und negative Anreize
Negative Anreize sind unangenehme Konsequenzen des eigenen Verhaltens, positive Anreize sind Belohnungen. Für viele Menschen ist ein besserer Gesundheitsschutz Anreiz genug, sich impfen zu lassen. Der einfachere Zugang zum gesellschaftlichen Leben mag als positiver Anreiz missverstanden werden, ist aber gleichzeitig ein starker negativer Anreiz für Impf-Unwillige.
Ein echter positiver Anreiz ist aber nur, was wir neu und als Belohnung buchen können; nicht das, was uns kurz vorher weggenommen wurde. Dies zurück zu bekommen, erzeugt bei zu vielen Menschen nicht Interesse an der Belohnung, sondern Reaktanz.
Positive Anreize
Eine der viel zu selten beachteten Lehren des Behavioursimus ist, dass Belohnungen besser wirken, als Strafen.
Wenn man also ein bestimmtes Verhalten motivieren möchte, sollte man es belohnen und so einfach wie möglich machen. Die deutsche Politik hat beides bisher nicht nennenswert verfolgt: Monatelang war es schwer, überhaupt eine Impfung zu bekommen; heute werden regelmäßig Impfwilligen die Booster verwehrt und lieber im Kühlschrank gelassen.
Auch niedrigschwellige Impfangebote im Supermarkt oder beim Festival bleiben leider Einzel-Aktion statt Regel. Gleichzeitig lachen wir darüber, wenn Menschen sich für eine Bratwurst impfen lassen. Aber diese Aktionen sind jedes Mal ein Erfolg, und es ist falsch, darüber zu spotten.
Negative Anreize
Nehmen wir den negativen Anreiz zum Vergleich: Zwar gab es einen neuen Ansturm auf Impfungen in Österreich , nachdem dort die 2G-Regelung ausgeweitet wurde, aber dieser Ansturm war nicht annähernd ausreichend, wenn man die Anzahl der Neu-Impfungen betrachtet.
UPDATE 30.11.2021 (Daten vom 28.11.2021): In der zweiten Grafik sieht man den geringen Effekt auf die Erstimpfungen, insbesondere im Vergleich zu den Booster-Impfungen.
Bei den Impfungen kann es sich lohnen, pragmatisch und utilitaristisch zu denken: Würden wir beispielsweise pro Shot eine Prämie von 50 oder gar 100€ zahlen, wäre das einzige verbleibende Problem wohl, dass bereits geimpfte Bundesbürger ihr Gerechtigkeitsempfinden entdecken und Wege suchen würden, sich “ihre Prämie” rückwirkend zu erklagen. Das sind dann die gleichen Leute, die über Menschen lachen, die sich für eine Bratwurst impfen lassen.
Ich bleibe dabei:
- Unser Ziel heißt Impfung, nicht Impfpass, 2G oder Impfzwang.
Das Ziel heißt Impfung. - Wenn wir mehr Privilegien an Impfpässe binden, steigt die Motivation zur Fälschung stärker, als die Motivation zur Impfung.
- Schon geringe positive Anreize können Menschen umstimmen, einfacher Zugang tut sein Übriges.
- Reaktanz ist ein nicht zu unterschätzendes psychologisches Phänomen.
Wer es bis in den Dezember 2021 geschafft hat, ohne sich impfen zu lassen, braucht einen positiven Anreiz – keinen negativen. - Mai Thi Nguyen-Kim hat sehr gut für eine Impfpflicht argumentiert, aber sie betont auch, dass es eine ultima ratio ist.
- Mein Eindruck ist aber noch, dass wir bisher ein paar unterschätzte Möglichkeiten ungenutzt gelassen haben.
- Lasst euch impfen, ihr Deppen.